Anzeige
24. Januar 2025 – Niemand
würde Wein aus einem Bierglas trinken oder Likör aus einem Whisky-Tumbler. Aber warum eigentlich nicht? Warum gehören Weißweine stets in ein schmales, konisches Kelchglas, Champagner in sogenannte Flöten und ein Aperitif in ein tulpenförmiges Miniglas? Hat sich das nicht einfach jemand ausgedacht? Sicherlich nicht! Der Grund dafür ist – im Wortsinne – Geschmacksache. Aber der Reihe nach …
Tresore fürs Aroma
Rotwein wird seit Jahrhunderten in großen, bauchigen und vor allem dünnen Gläsern mit weit öffnendem Rand serviert. Diese Form erlaubt es, ihn zu schwenken und ihn seine oftmals äußerst komplexen Aromen vollends entfalten zu lassen. Schmalrandige Gläser für Weißwein indes führen die Aromen gezielt an die Nase und sorgen dafür, dass Frische und Fruchtaromen nicht so schnell verfliegen. Roséweingläser sind eine Mischung aus beiden Welten. Und noch dünnwandigere Sektflöten, schlank und hoch, vermögen es, die Perlage, also die Bläschen im Schaumwein, länger zu bewahren.
Bei Bier sind die Unterschiede noch größer: Pils wird in leicht ausgebuchteten, dünnen Gläsern serviert. Das hält den Gerstensaft frisch und kalt, hebt seine Spritzigkeit optisch hervor. Altbier hingegen fühlt sich in einem robusten, zylindrischen Glas mit dickem Boden am wohlsten, weil darin sein typisch malziger Geschmack nicht so schnell verloren gehen kann. Für leichtes, hopfiges Kölsch – obergärig wie Alt, aber hell wie untergäriges Pils – braucht es ein äußerlich ähnliches, aber dünnwandiges Glas für Genuss ohne Kompromisse.
Whiskykenner schwören auf Tumbler. Das sind kurze, robuste, bewusst schwere Gläser mit breitem Boden und Rand, die Single Malt wie Blend gleichermaßen lange auf Zimmertemperatur halten können. Umgekehrt ist es bei Wodka: Der soll lange kühl bleiben und ist daher in kleinen, dickwandigen Gläsern am besten aufgehoben. Bei Likören wiederum ist ein dünnwandiges Glas in Tulpenform erste Wahl, weil das ihre Aromen konzentrieren und hervorragend zur Geltung bringen kann. Bei Cocktails ist die Lage unübersichtlicher: Zwischen schalenförmig und spitz zulaufend (Martini-Glas), schalenförmig mit breiter, gewölbter Basis und schmalem oberen Teil (Hurricane-Glas, beispielsweise für Piña Colada), schlank und hoch (Highball-Glas, etwa für Longdrinks), flach und breit mit schmalem Stiel (Coupette-Glas, vor allem für Daiquiri und Konsorten) ist alles dabei. Kurz: Ein Trinkglas ist nicht nur „was fürs Auge“; auch die perfekte Wahrnehmung am Gaumen steht und fällt mit ihm.
Kristallglas: die Königsdiziplin
Die Art und Güte des Glases spielt natürlich ebenfalls eine erhebliche Rolle. Das ahnte man in Venedig schon im 15. Jahrhundert und brachte mit künstlerisch-handwerklichem Geschick die ersten Kristallgläser unters Volk – oder besser gesagt: vor allem in aristokratische Kreise. Heute wie damals gelten die vergleichsweise wenigen erhaltenen Exemplare als Stil- und Prestigeobjekte. Dabei sehen sie nicht nur buchstäblich brillant aus, sondern perfektionieren mit ihrer ultradünnen, völlig glatten Oberfläche gleichzeitig auch noch den Genuss wertvoller Weine und Spirituosen. Denn normales Glas, sagen Kenner, absorbiert einen kleinen Teil der Aromen, Kristallglas aber nicht. Das kann entscheidend sein, wenn es darum geht, allerfeinste Nuancen edelster Tropfen wahrnehmen zu wollen. Getrunken aus normalen, im schlimmsten Fall dickwandigen Gläsern oder gar aus Krügen würden die definitiv untergehen. Das wurde bei Blindverkostungen bereits eindrucksvoll bewiesen.